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EHRENAMTLICHES ENGAGEMENT ALS BESCHÄFTIGUNGSTHERAPIE IM ALTER?

Gerade habe ich wieder eines dieser Bücher über das Alter gelesen, die zurzeit den Buchmarkt überschwemmen. (Das ist nicht despektierlich gemeint, ich lese gerne, was andere über das Alter denken.) Das Buch hat mir gut gefallen. Der Ton ist leicht und locker, der Text mit einer ordentlichen Portion Humor versehen, und es stehen eine Menge kluge Sachen darin. Vieles spricht mir aus dem Herzen, habe ich so oder so ähnlich auch schon gedacht, hat meinen Blick erweitert und mir neue Sichtweisen eröffnet. Soweit, so gut.

So ziemlich am Ende bin ich dann aber doch über etwas gestolpert, dass ich nicht widerspruchslos hinnehmen kann. Es geht um das Thema Einsamkeit im Alter. Die Autorin empfiehlt, sich eine ehrenamtliche Tätigkeit zu suchen, um dieser zu entgehen. Im Grunde genommen ja gar keine so schlechte Idee, dennoch hat es mich ein wenig geärgert, gleich in doppelter Hinsicht.

Im Verlaufe des Buches betont die Autorin immer wieder, dass ihr durchaus bewusst ist, wie privilegiert sie ist: Sie kann trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch in ihrem geliebten Beruf arbeiten, ist eingebunden in einen großen Freundes- und Bekanntenkreis und finanziell abgesichert. Das freut mich für sie, denn all dies erleichtert das Älterwerden oder Altsein sehr. Aber die locker-flockige Aussage, sie würde sich bestimmt auch eine ehrenamtliche Tätigkeit suchen, um nicht einsam zu Hause herumzusitzen, wenn sie nicht so eingebunden wäre, ließ mich doch etwas zusammenzucken. Zum einen finde ich, dass gerade privilegierte Menschen nicht schlecht daran täten, etwas für das Gemeinwohl zu tun, zum anderen wird hier Sinn und Wert ehrenamtlicher Tätigkeit grundlegend verkannt.

Sie ist weder Kontaktbörse noch Zeit-totschlag-Beschäftigung, sondern ein wesentlicher Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft. Ohne Menschen, die ihre Zeit und Energie (oft mit viel Herzblut) in soziale Projekte stecken, sähe es in vielen Bereichen anders aus. Darüber, dass Politik und viele soziale Institutionen sich auf dieser Tatsache ausruhen und durch ehrenamtliches Engagement nicht nur professionelle Arbeitsplätze nicht besetzt werden, sondern auch viel Geld eingespart wird, will ich hier gar nicht diskutieren. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig dieses Engagement ist. Ohne meine Ehrenamtlichen wäre ich aufgeschmissen gewesen in meinem Job und hätte vieles nicht tun können von dem, was von höherer Ebene ganz selbstverständlich erwartet wurde. Und heute erfahre ich als Rentnerin die Sinnhaftigkeit dieses Engagements, indem ich anderen Menschen mit meinem Tun eine Freude bereite oder andere in ihrer Arbeit unterstütze.

„Wenn ich nicht so eingebunden wäre“ ist in meinen Augen eine faule Ausrede. Ein Ehrenamt im Alter ist eine gute Gelegenheit, einen wertvollen Beitrag zu einem solidarischen Miteinander zu leisten. Dass man dadurch unter Umständen ein bisschen weniger einsam ist, ist ein durchaus nicht zu unterschätzender Nebeneffekt, aber die Motivation sollte eine andere sein.

REGINA SEIDEL | 24.06.2024

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