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VERTRAUEN IN ZEITEN DES KRIEGES

VERTRAUEN IN ZEITEN DES KRIEGES | Thomas Avenhaus


In diesem Text geht es nicht um die Ukraine und Russland, den Krieg, das Leid, die Angst. Das ist alles da und es ist schwer, damit umzugehen. Ich möchte aber (und insofern geht es doch um all das eben Erwähnte) einen Aspekt beleuchten, der mich im Augenblick beschäftigt: 

Polen ist empört über Deutschland. Litauen hat kein Vertrauen mehr. Der Kanzler redet so, dass ihn keiner versteht, die Verteidigungsministerin hat keine Lust auf ihren Job und arbeitet sich nicht ein. Deutschland liefert Schutzhelme mit verschimmelten Lederteilen an die Ukraine. Östliche Länder geben im Ringtausch Waffen für die Ukraine und erhalten nichts von Deutschland. 

Ich habe den Kanzler gewählt und war froh, dass 16 Jahre CDU vorbei waren. Und jetzt habe ich angesichts der Katastrophen, die unweit von uns passieren, keine Ahnung, was diese Politik soll. Wie kann man als stärkstes Land in Europa so passiv sein? Wie kann man so stumm sein? Oder ist das eine kluge Strategie? Um einen Atomkrieg zu vermeiden? Aber die Außenministerin sagt: Die Ukraine muss gewinnen. Wie soll sie gewinnen, wenn sie nicht unterstützt wird?

Ich glaube, was mich so unsicher und ratlos macht, ist unsere Politik. „Unsere“ geht mir hier so flott von der Hand, aber ist das noch „unsere“? „Meine“?

Ich merke, dass ich doch ganz schön deutsch bin, wenn diese negativen Urteile der Nachbarländer, ihre Enttäuschung, nicht so an mir vorbei gehen. Ich bin gewöhnt, dass Deutschland in Europa der Musterschüler ist, besser: dass es ein erwachsenes Land ist, das  aus seiner Geschichte gelernt hat, das mit vielen Projekten Europa fördert, dass es das ehrliche Land ohne Korruption ist, dass unsere PolitikerInnen verlässlich sind.

Jetzt ist das alles in Frage gestellt. Wer regiert uns? Was will diese Politik? Warum kann niemand eine klare Linie kommunizieren – im Bundespresseamt sind doch fähige Leute. Die stellvertretende Regierungssprecherin hat ein wunderbares Buch über Deutschland und Polen geschrieben, das ich gerade erst gelesen habe. Es ging über Schlesien und eine Aussöhnung. Es ging um die Vergangenheit, die die Gegenwart mitbestimmt, die Traumata der Eltern, die die Generation der heute 50-70jährigen stark geprägt hat.*

Und klar: Die Regierungssprecherin kann auch nur verkünden, was die Politik festlegt. Und wenn niemand etwas festlegt, gibt es auch nichts zu verkünden. Das ist jetzt bestimmt übersteigert, aber so kommt es mir vor. Und man liest ja auch überall von „moralischem Versagen“, von „Mitverantwortung an der derzeitigen Lage“, von Bequemlichkeit und Inkonsequenz. Vielleicht muss man im Leben auch die Erfahrung machen, dass man sich in sehr schwierigen Zeiten nicht auf seine Regierung verlassen kann, dass das eben alles von fehlbaren Menschen gemacht wird. Kurz: Mir geht es wie Litauen, ich habe kein Vertrauen in Deutschland im Augenblick. 

Und wie kommt man aus einer solchen Politik-Skepsis wieder heraus? Wie kann man wieder Vertrauen fassen, in die Menschen, die man gewählt hat? Die man eigentlich für fähig hielt? 

Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, man muss für sich selbst über dieses Vertrauen nachdenken. Vertrauen ist essenziell. „Vertrauen bezeichnet die subjektive Überzeugung (oder auch das Gefühl für oder Glaube an die) von der Richtigkeit, Wahrheit von Handlungen, Einsichten und Aussagen bzw. der Redlichkeit von Personen. Vertrauen kann sich auf einen anderen oder das eigene Ich beziehen (Selbstvertrauen)“ – sagt Wikipedia.

Leben ohne Vertrauen kann einen kaputt machen. Die einen werden misstrauischer, andere feindselig. Sie bauen sich eine Art psychosozialen Panzer aus Skepsis und Argwohn auf, um ja nicht noch einmal hinters Licht geführt zu werden, nach dem Motto: „Wer mit der Niedertracht der anderen rechnet, kann nicht mehr böse überrascht werden.“ 

Das sind dann die Vergrätzten, die sich ihre Wut auf Demos aus dem Leib schreien oder die, die mausgrau in der Wahlkabine ihr Kreuz aus Rache bei der bösen Partei machen. Aber will man zu denen gehören? Nein! Die Frage ist: Wie kann man in Krisenzeiten stark bleiben, wenn einem das Vertrauen in die, die uns aus der Krise führen könnten, verloren gegangen ist? 

Ich muss sagen, ich weiß es im Augenblick nicht. 

ENDE 1. AKT, PAUSE

Ich habe diesen Text weggelegt und mich gefragt, ob ich frustriert sein soll, weil mir kein „Happy End“ einfällt, kein guter Ratschlag, keine wenigstens etwas aufmunternde Botschaft am Ende. Dann habe ich aber bei mir gedacht: Lass den Text etwas ruhen, vielleicht kommen dir noch gute, bessere, hellere Gedanken. Stattdessen kam Corona. Nun lag ich zwei Tage im Bett, hatte Kopfschmerzen und keine Lust zu denken, bis heute ein freundlicher Bote ein Buch durch den Schlitz der Wohnungstür schmiss. Deborah Levy „Was das Leben kostet“. Ich habe gleich angefangen zu lesen und parallel dazu Filme über die Autorin im Netz angeschaut. Und so lerne ich in der Quarantäne allein zuhause eine faszinierende Schriftstellerin kennen; eine, die ehrlich, tief, reflektiert und humorvoll spricht und schreibt – danke, moderne Medien. 

Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? Nun, es geht um das, was man liest, es geht um die Personen, von denen man etwas liest und über die man etwas liest (denn ich habe ja weder Scholz noch Levy leiblich getroffen noch werde ich sie vermutlich treffen) – und es geht um das Vertrauen. Und ich habe gemerkt, dass ich zwar im Augenblick enttäuscht vom Kanzler und der Politik Deutschlands bin, aber das mein VERTRAUEN als ein, tja, wie nennt man es: ein Wert/ein Quell/eine Ressource als solches darunter nicht gelitten zu haben scheint; ich bin jetzt bereit, es auch Deborah Levy zu schenken und ihr als Leser vertrauensvoll zu folgen. 

© sophoartlive.de


Das mag ein komischer Vergleich sein – Vertrauen in Scholz und Vertrauen in Levy. Aber wenn man sich Vertrauen als abstrakte Größe anschaut, dann hinkt der Vergleich vielleicht doch nicht so. 

Und klar, auch das Vertrauen in Frau Levy kann erschüttert werden, aber die QUELLE IN MIR wird deswegen hoffentlich nicht versiegen; ich bin offensichtlich immer wieder bereit, anderen Menschen zu vertrauen. Das finde ich bei all dem Mist, der mich im Augenblick trifft, doch eine ganz gute Nachricht. Und vielleicht macht der Kanzler ja hoffentlich demnächst auch Schritte, die mir das Vertrauen in ihn, die Politik und Deutschland zurückgeben. Oder wenigstens ansatzweise. Ich wäre bereit. 

März 2022

*Christiane Hoffmann, Alles, was wir nicht erinnern. München 2022

** Deborah Levy, Was das Leben kostet. Hamburg 2019

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