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BEGINEN – FRAUEN LEBEN IN GEMEINSCHAFT

BEGINEN – FRAUEN LEBEN IN GEMEINSCHAFT | Christiane Maass

Johanna[1] lebt in einer so genannten bevorzugten Wohngegend: überwiegend Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuser, gepflegte Gärten, verkehrsberuhigte Straßen, dicht am Stadtrand und am umgebenden Grün und trotzdem Innenstadt-nah. Johanna ist privilegiert, fühlt sich aber oft einsam. Das Problem: Nach dem frühen Tod ihres Mannes lebt sie allein. Die Kinder sind erwachsen, haben bereits eigene Kinder und leben stundenlange Autofahrten entfernt.

Wenn Johanna mit ihrem Hund in der Nachbarschaft Gassi geht, sieht sie, dass sie nicht die einzige Frau ist in dieser Lage. In jedem vierten Haus wohnt hier eine ältere Frau alleine. Johanna kommt mit den Nachbarinnen ins Gespräch. Warum leben sie so, allein in viel zu großen Häusern? Gründe gibt es da so einige. Die vielen Erinnerungen, das Gefühl von Vertrautheit, die Angst vor Veränderungen. Aber auch der Mangel an Alternativen. Das Haus verkaufen und in eine Wohnung ziehen? Ist frau da nicht genauso allein, nur eben ohne das große Haus und den Garten?

Johanna forscht weiter nach und findet eine Frau, die in einer benachbarten Großstadt einen Beginenhof mit gegründet hat. Beginen – wer sind oder waren die? Im Internet stößt Johanna auf die Homepage des Dachverbandes der Beginen e.V.[2]: Dort kann frau Folgendes lesen:

„Die neue Beginenbewegung in Deutschland entwickelte sich seit 1985 in verschiedenen Städten, ohne dass die Frauen voneinander wussten. Feministinnen, Historikerinnen und Theologinnen entdeckten und erforschten das Leben der historischen Beginen. Es entstanden erste Beginenvereine, die später die ersten Frauenwohnprojekte als ‚Beginenhöfe‘ initiierten. Ziel ist es, zur Humanisierung der heutigen Gesellschaft beizutragen und gemeinschaftliche generationsübergreifende Lebensformen zu entwickeln, die den alltäglichen und spirituellen Bedürfnissen von Frauen entsprechen. Charakteristisch für die Bewegung ist ihre Vielfalt.“[3]

Eine Vielfalt von Frauenwohnprojekten! Fantastisch! Könnte das eine Lösung für Johannas Problem sein? Was aber macht diese Vielfalt aus? Was ist das Besondere an den verschiedenen Beginenhöfen?

Hofidyll mit Apfelbäumchen | Foto C. Maass


„Die heutigen Beginen fühlen sich der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen, der Gewaltfreiheit, dem schonenden Umgang mit der Natur und den Ressourcen unseres Planeten verpflichtet. Sie unterstützen sich gegenseitig und nutzen die Unterschiedlichkeit der Frauen für die individuelle Weiterentwicklung und die der Gemeinschaft (affidamento).“ So steht es auf der Homepage des Dachverbandes.In Bremen „gestaltet sich das Beginenleben nach selbst gewählten Regeln und dem Prinzip der Freiwilligkeit. Jede Frau entscheidet für sich, in wie weit sie sich in die Gemeinschaft einbringen will. Gemeinsame Aktivitäten in wechselnden Gruppen entstehen, vergehen und bilden sich neu. Mittelpunkt ist der Gemeinschaftsraum und der begrünte Innenhof mit Kinderspielplatz. Hier bietet sich viel Platz für zufällige oder geplante Begegnungen, für offenes Singen, Grillen und natürlich zum Feiern.“[4] – Das hört sich gut an, denkt Johanna. 


Allerdings werden die Hälfte der zugehörigen 86 Wohnungen von einer Wohnungsbaugesellschaft verwaltet. Und die vermietet auch an Männer und an Menschen, die mit dem Beginen-Gedanken gar nichts am Hut haben.

In Bielefeld-Senne ist das Frauenwohnprojekt „ein generationsübergreifendes, gemeinschaftsorientiertes Wohnprojekt, aufbauend auf den vielfältigen Qualifikationen und Kompetenzen der Frauen zugunsten einer wechselseitigen Bereicherung und Unterstützung.“[5] Es gibt viele gemeinsame Aktivitäten wie zum Beispiel Hausgemeinschaftsversammlungen, Sonntagscafé einmal im Monat, Kochgruppe, politischer Brunch, Meditationsgruppe, Gartenaktivitäten, Ausstellungseröffnungen, Vorträge und Führungen für Interessierte. Da scheint eine Menge mehr los zu sein als in ihrer viel zu ruhigen Nachbarschaft, denkt Johanna.

Beginengarten | Foto C. Maass

In Malgarten leben tatsächlich nur zwei Beginen zusammen. Sie verstehen sich als „spirituelle Frauengemeinschaft und feiern die Jahreskreisfeste in einer sich selbst organisierenden Gruppe“. Die Frauen „beginnen jeden Tag mit meditativen Tänzen im Freien und schätzen Stille, Langsamkeit, Singen und Tanzen, draußen (unterwegs) sein sowie das Philosophieren über ‚Göttin und die Welt‘….“ Sie „unterstützen sich im Alltag, essen (meistens) zusammen und betreuen einen Teil des Außengeländes mit Mariengärtchen, Tanzspirale und Feuerplatz, bauen Gemüse und Kartoffeln an, sammeln Obst und Nüsse…. und leben möglichst nachhaltig und einfach“[6]. Da Johanna in der Nähe von Malgarten aufgewachsen ist und das schöne, alte Kloster dort kennt, fährt sie einfach mal an einem Sonntag vorbei und schaut, wo dort Spuren der Beginen zu finden sind. Was sie findet, ist ein wirklich sehr idyllischer Ort mit viel Geschichte. Aber das Haus, das die Beginen bewohnen, ist alt, schlecht isoliert und weitestgehend unrenoviert. Altersgerecht findet Johanna das nicht und denkt mit Erschauern an nass-kalte Räume und rußige Öfen.

In Essen sieht der Beginenhof, ein „Ruhrpott-Hofidyll mit Apfelbäumchen“ schon besser renoviert aus. Das ehemalige Finanzamt, das zum Beginenhof umgebaut wurde, „trägt die Spuren eines ganzen Jahrhunderts: Jugendstil, Bomben, Wiederaufbau und Nachkriegskunst (Meistermannfenster)“[7]. Geschichtsträchtig, idyllisch und modern zugleich also. Es gibt ein kleines Seminar- und Bildungszentrum. Hier finden Bauchtanz, Feldenkrais, Yoga und Stimmbildungskurse, Fortbildungen und Familienfeste statt, von Zeit zu Zeit wird zu Konzerten, Lesungen und Vorträgen eingeladen. Dass das Beginenleben auch nicht immer eitel Sonnenschein ist, wird auf der Internetseite ehrlich angesprochen: „Enttäuschungen und Konflikte blieben uns nicht erspart, die wöchentliche Hausversammlung kann anstrengend sein.“[8] Trotzdem gibt es viele Aktivitäten und frau kann dort viele interessante Menschen kennen lernen.

Was nun anfangen mit der Fülle dieser Informationen? Fortziehen und sich einer bestehenden Beginen-Gemeinschaft anschließen? Oder besser eine eigene Beginen-Initiative an ihrem Wohnort gründen? Johanna ist sich noch nicht ganz schlüssig. Aber der Beginen-Gedanke lässt sie erstmal nicht mehr los…


[1] Name geändert, aber mit biografischem Bezug.

[2] https://www.dachverband-der-beginen.de/beginenkultur

[3] Zitiert nach https://www.dachverband-der-beginen.de/beginenkultur Zuletzt aufgerufen am 23.11.2021.

[4] Zitiert nach https://www.dachverband-der-beginen.de/beginenprojekte Zuletzt aufgerufen am 23.11.2021.

[5] Zitiert nach https://www.dachverband-der-beginen.de/beginenprojekte Zuletzt aufgerufen am 23.11.2021.

[6] A.a.O.

[7] A.a.O.

[8] A.a.o.

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