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POLICE HEISST NICHT POLIZEI


Gestern war ich in Police. Menschen, die nicht aus Polen kommen, stolpern über den Namen. Nein, Police heißt nicht Polizei. Man sagt auch nicht Poliiiieeß, sondern Politze. Wie bin ich dort hingekommen? Nun, drei Kolleg*innen und ich wurden von einer Förderstelle namens Pomerania engagiert, einen Workshop zum Thema „Die Kraft in uns“ zu machen. Der Inhalt: Wie behält man angesichts der erdrückenden Weltlage, schlechter werdenden Perspektiven und stressigen Jobs den Kopf oben, stärkt die Nerven, stärkt seine Resilienz, findet Freude, kurz: bleibt stark und hoffnungsvoll?

Eine Theaterpädagogin und Therapeutin, eine Sängerin und Stimmtrainerin, ein Workshopleiter für Interkulturelle Kommunikation und Übersetzer und ich als Schreibpädagoge haben diesen Workshop für Menschen, die in der Grenzregion an der Oder in Deutschland und Polen leben, entwickelt. Er stellt Techniken des Empowerments vor, soll Mut machen und helfen, die eigenen Möglichkeiten auszuloten – über Körper-, Stimm- und Schreibarbeit. 

Dann kam der Januar und mit ihm Bahnstreiks, Bauernproteste und Corona. Viele deutsche Teilnehmende mussten absagen, eine geplante Gruppe Jugendlicher fiel komplett aus und alles wurde unsicher. Doch die Organisatorin war clever, hörte sich um, und fand in dem kleinen Ort Police bei Szczecin eine Gruppe Senior*innen, die im Dom Kultury, dem Kulturhaus, viele Aktivitäten mitgestalten. 

So sind wir also gestern, einem absolut grauen Wintertag mit Schneeregen und ohne einen Sonnenstrahl, nach Police gefahren. Police hieß bis 1946 Pölitz, hier haben die Nazis ab 1937 versucht, synthetisches Benzin herzustellen. Auch heute noch ist Police ein riesiger Chemie-Standort mit apokalyptischen Szenarien von Förderbändern, die über Straßen laufen, Öltanks überall, Leitungen, Fabriken und so weiter. Die Häuser in Police sind entweder Plattenbauten oder „po niemecki“ – abgenutzte Altbauten von den Deutschen. Alles war, wie gesagt, gestern sehr düster, feuchtkalt und deprimierend.  

Das Kulturhaus wird gerade umgebaut, deshalb ist es im örtlichen Schulgebäude untergebracht. Der Sportsaal hat hellgrüne Wände und Neonlicht, sodass man wie ein Zombie aussieht. Doch alle Hässlichkeit vergaß man schnell. Warum? Weil die Senior*innen (12 Frauen, 1 Mann) unglaublich gut gelaunt, liebenswert, hübsch angezogen, motiviert, witzig und pfiffig wirkten. Wir wurden auf das Herzlichste empfangen und haben mit ihnen unsere Übungen gemacht. Sie haben alles gegeben; sich gegenseitig massiert, angeschrien, vorgelesen, geweint und gelacht, Zischlaute geübt, die Lungenkapazität beim Atmen gegenseitig ertastet, von sich erzählt, und dem, was sie stark macht. Sie kamen noch fröhlicher und stärker aus dem Tag, als sie hinein gegangen waren. Und wir auch. 

Für mich war das in mehrfacher Hinsicht lehrreich: 1. In Polen sind die Senior*innen (das habe ich schon in anderen Zusammenhängen gelernt) sehr gut vernetzt und organisieren sich in Gemeinschaften. Der Staat unterstützt sie dabei. Das macht sie stark. Sie wirken aufgehoben und nicht vereinsamt. 2. Auch in einer wirklich hässlichen Stadt kann es „das Schöne“ geben, wie solch einen Tag. 3. Das Hin und Her zwischen Leitenden und Teilnehmenden kann ein wundervoller Flow sein, wenn alle mitmachen. 4. Ob deutsch oder polnisch, das ist völlig egal. 

THOMAS AVENHAUS

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